9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

Gesellschaft

2283 Presseschau-Absätze - Seite 1 von 229

9punkt - Die Debattenrundschau vom 10.05.2024 - Gesellschaft

Die Welt bringt einen Text jüdischer Studenten, die auf die antisemitischen Ausschreitungen an der Columbia University reagieren: "Wir waren … nicht überrascht, als ein Anführer von 'Columbia University Apartheid Divest' (CUAD) öffentlich und stolz sagte, dass 'Zionisten nicht verdienen zu leben' und dass wir Glück haben, dass sie "nicht einfach losziehen und Zionisten ermorden'. Wir fühlten uns hilflos, als wir beobachteten, wie Studenten und Dozenten jüdische Studenten physisch daran hinderten, Teile des Campus zu betreten, den wir gemeinsam nutzen, oder als sie sogar schweigend ihr Gesicht abwandten. Dieses Schweigen ist uns vertraut. Wir werden es nie vergessen. Aber eines ist sicher. Wir werden nicht aufhören, für uns selbst einzutreten. Wir sind stolz darauf, Juden zu sein, und wir sind stolz darauf, Zionisten zu sein."

Yascha Mounk wundert sich im Spectator (die Welt hat den Text heute übernommen), nicht über die aktuellen Proteste an der Columbia University. Der weit gefasste amerikanische Begriff von Meinungsfreiheit lässt selbst Holocaust-Leugnung zu, zudem behandeln die Unis ihre Studenten wie Kinder, die verwöhnt und umschmeichelt werden müssen, schreibt er. Dazu kommt: "Heutzutage sehen sich viele Professoren und Verwaltungsbeamte als natürliche Erben der Studentenbewegung. Viele führende Universitäten beschreiben die Ereignisse von 1968 mit einer Mischung aus Stolz und Nostalgie und vermarkten sich aktiv als großartige Orte für politischen Aktivismus. Auf einer Website der New York University, die sich beispielsweise an angehende Studierende richtet, gibt es eine dreiteilige Serie darüber, wie sie lernen können, 'wie progressive Veränderungen in der Praxis aussehen'. Viele Universitäten bieten Stipendien an, die sich ausdrücklich an Aktivisten richten, und nehmen Studierende als Anerkennung für ihr Engagement an der High School auf. Sobald die Studierenden auf dem Campus ankommen, stellen sie fest, dass sich die Mehrheit des Personals weit links vom Durchschnittsbürger verortet."

Die Proteste an der Freien Universität in Berlin zeigen, wie weit die Meinungsfreiheit in Deutschland reicht, schreibt in der SZ Ronen Steinke, der jenen, die meinen sie dürften hierzulande Israel nicht kritisieren, rät, aufzuhören zu jammern: "Man kann in diesem Land das komplette Israel als 'koloniales Projekt' schmähen, man kann 'Fuck you, Israel!' im Chor skandieren, man kann fordern, dass die Uni 'akademisch und kulturell' alle Israelis boykottieren solle. Man kann das so laut tun, wie man möchte, auch so aufgewühlt, wie man sein darf und vielleicht auch sein sollte angesichts des schreienden Unrechts der israelischen Militärschläge auf zivile Ziele im Gazastreifen. (…) Man kann in Deutschland erleben, wie eine Universitätsleitung sich diesen Protest durchaus lange ansieht - bis sie irgendwann, wenn Demonstranten auch noch verschlossene Hörsäle aufbrechen und Feueralarme zerschlagen, von ihrem Hausrecht Gebrauch macht. Und wie die Polizei dann - erst dann! - die Demo auflöst, so wie es ihre Pflicht ist."

Zunächst hundert, inzwischen 300 Berliner Uni-Dozenten hatten sich in einem offenen Brief gegen die Räumung des FU-Campus gewandt: "Es ist keine Voraussetzung für grundrechtlich geschützten Protest, dass er auf Dialog ausgerichtet ist. Umgekehrt gehört es unseres Erachtens zu den Pflichten der Universitätsleitung, solange wie nur möglich eine dialogische und gewaltfreie Lösung anzustreben." (Die Antwort auf die Frage, wie genau man in Dialog mit jemand tritt, der einen Dialog ablehnt, ist wahrscheinlich weiterer Forschung vorbehalten.) Nicht allzu viele bekannte Namen bei den Unterzeichnern, darunter Michael Barenboim, Naika Foroutan, Rahel Jaeggi. Zu den 600 externen Unterstützern gehören übliche Verdächtige wie Eva von Redecker, Mithu Sanyal, A. Dirk Moses.

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger äußerte sich schockiert über das Papier, berichtet etwa Daniel Bax in der taz, "das Statement mache sie 'fassungslos': Statt sich klar gegen Israel- und Judenhass zu stellen, würden die Uni-Besetzer verharmlost. Gerade Lehrende müssten 'auf dem Boden des Grundgesetzes stehen'."

Wie der "Dialog" mit den Uni-Besetzern aussah, erzählt Thomas Thiel in der FAZ: "Besonders hoch schlugen die Wellen in Berlin, wo die Proteste zunächst an der HU und später an der FU mit Polizeigewalt beendet wurden. Beide Male setzten die Demonstranten die Kommunikationsverweigerung fort. An der HU wurde die Präsidentin Julia von Blumenthal niedergebrüllt, als sie den Demonstranten ein Diskussionsangebot machte. Journalisten wurden mit Lügenpresse- oder, wie an der Freien Universität, mit NS-Vorwürfen überzogen."

Noam Petri, Vizepräsident der Jüdischen Studierendenunion Deutschland, staunt in der Jüdischen Allgemeinen über die woke Liebe zur Hamas: "Man kann sich darüber lustig machen. Es wirkt schließlich wie Realsatire, wenn woke Studenten ihren potenziellen islamistischen Schlächtern zujubeln. Trotzdem meinen sie es ernst. Diese Studenten - unsere Bildungselite? - werden in den nächsten Jahren wichtige Ämter bekleiden und versuchen, Institutionen nach ihrem Weltbild umzubauen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 08.05.2024 - Gesellschaft

Nach der islamistischen Großdemo in Hamburg, bei der ein Kalifat gefordert wurde (Unser Resümee), lädt die Zeit den Politologen Hamed Abdel-Samad und die Autorin Khola Maryam Hübsch von der Ahmadiyya-Sekte zum Streitgespräch. Kalifat, Scharia - für Hübsch sind das unbescholtene Begriffe, die von Extremisten missbraucht wurden. Die Scharia sei gut "mit der deutschen Rechtsordnung vereinbar", meint sie, worauf Abdel-Samad einwendet: "Sie müssen doch sehen, dass die Muslimbruderschaft, die Salafisten, das Mullah-Regime im Iran und die anderen 55 muslimischen Staaten die Scharia völlig anders auslegen als Sie. Dort herrscht Geschlechtertrennung oder die Todesstrafe für Apostaten." Zudem spreche man in Deutschland nur über die 0,5 Prozent muslimischer Extremisten, fährt Hübsch fort, während Abdel-Samad erinnert: "Der Islamismus besteht doch nicht nur aus ein paar Gefährdern! Es gibt neben Dschihadisten auch Salafisten, Muslimbrüder und türkische Islamisten."

Die Kalifatsforderungen gehen auf die in Deutschland offiziell verbotene islamistische Gruppe Hizb ut-Tahrir zurück, weiß der Nahost-Historiker Tom Khaled Würdemann auf den Geisteswissenschaftenseiten der FAZ: "Die Gründung der Gruppe 1953 in Jordanien stand sowohl im Kontext des arabisch-israelischen Krieges von 1948 als auch des modernen Islamismus, der seinen wichtigsten Impuls durch das Ende des osmanischen Kalifats 1924 erhalten hatte. Ideologisch ist die Hizb ut-Tahrir mit der Muslimbruderschaft verwandt. Ihr Ziel ist die Errichtung eines Kalifats anstelle aller Nationalstaaten in der islamischen Welt und dann auf dem ganzen Planeten. Das Kalifat ist als Gottesstaat konzipiert und soll zurück in ein goldenes islamisches Zeitalter führen. In einer 'Verfassung des Kalifats' von 1963 wird die Herrschaft eines autokratischen, auf Lebenszeit gewählten Kalifen gefordert. Ein semidemokratisches Parlament übernimmt eine Kontrollfunktion. Islamische Gesetzgebung ist Basis aller Entscheidungen. Nichtmuslime dürfen als tributpflichtige 'Dhimmis' im Kalifat leben."

Thomas Wessel denkt bei den Ruhrbaronen über den Rocker Ramin Yektaparast nach, einen Deutsch-Iraner, der auf Geheiß des Regimes den Brandanschlag auf eine Synagoge in Bochum in Auftrag gab und vor kurzem im Iran erschossen wurde. Yektaparast lümmelte auf seinem Instagram-Profil gern in seinen Bentley-Cabrios. Islamismus verbindet sich mit Pop: "Da ist viel Platz am Lagerfeuer, die Hells Angels sind da, Harvard und Hamas. Humboldt, Huxtable und Hakenkreuz. Höcke, Hoskoté und Hizb ut-Tahrir. Hallervorden, Hisbollah und Human Rights Watch, in Bochum ist es Babak J., der eine Brandbombe wirft, weil er ein 'Zeichen' setzen will, in Berlin sind es Protestcamper vorm Reichstag, 'sie rufen offen zu Terrortaten auf', berichtete der Tagesspiegel Ende April, 'posieren mit Waffen und preisen den 'Märtyrertod'. Andere verbreiten Reden Adolf Hitlers, in denen dieser gegen Juden hetzt...'"

Bestellen Sie bei eichendorff21!
Der Historiker Frank Trentmann, aktuelles Buch "Aufbruch des Gewissens", diagnostiziert in der Zeit eine Blockade der Deutschen aufgrund einer sich in Widersprüchen verlierenden moralischen Autorität: In Deutschland wolle man zugleich moralische Eindeutigkeit, aber ohne seinen Komfort aufzugeben, "frei nach der englischen Redeweise 'to have your cake and eat it, too'. Man möchte in Deutschland den Kuchen zugleich verzehren und aufbewahren: die Klimakrise angehen, aber bitte nicht auf Kosten der Autohersteller und der Verbraucher. Menschenrechte hochhalten, aber in China investieren. Sich über ein Zuviel an Migranten aufregen und sich gleichzeitig über einen Mangel an Arbeitskräften wundern. Empathie und Universalität der Menschenrechte einfordern, aber unter Berufung auf die Staatsräson die Kritiker der israelischen Kriegsführung maßregeln."

Bestellen Sie bei eichendorff21!
Die aktuellen antiisraelischen Proteste erinnern den Spiegel-Kolumnisten Richard C. Schneider an die Campus-Proteste der Achtzigerjahre, nur dass heute unverhohlener "die Auslöschung Israels" gefordert wird: "Was diese jungen Menschen offenbar nicht verstehen, ist, dass ihre Vorstellungen von der Welt keine Bedeutung haben für die politischen Geschehnisse im Nahen Osten. Ja, möglicherweise können sie ihre eigenen Regierungen bis zu einem gewissen Grad beeinflussen. Doch wenn sie selbst später an die Schalthebel der Macht kommen, also in etwa 20 bis 30 Jahren, werden sie sich irgendwann auch der 'normativen Kraft des Faktischen' stellen müssen, wie die 68er dies nannten. Sie werden begreifen müssen, dass nicht sie darüber entscheiden, was in Israel und Palästina geschieht, sondern die Menschen zwischen Tel Aviv und Gaza, zwischen Jerusalem und Ramallah. Dass sie beiden verfeindeten Völkern besser flankierend zur Seite stehen sollten, damit Israelis und Palästinenser vielleicht irgendwann doch Brücken bauen können, die zum Frieden führen. Der aktuelle Ruf nach der Vernichtung Israels wird den Frieden sicher nicht bringen. Israel existiert."

Auch an britischen Universitäten verbreiten sich propalästinensische Proteste, berichtet Jannis Koltermann in der FAZ. In Cambridge etwa wird gefordert, "die Universität solle alle Verbindungen mit Unternehmen und Universitäten kappen, die von der Kampagne 'Boycott, Divestment and Sanctions' als am 'Genozid in Gaza' beteiligt angesehen werden - besagte Kampagne wurde in einer Resolution des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2019 als antisemitisch verurteilt. Außerdem solle die Universität Israels '76 Jahre andauerndes, militärisches Besatzungsregime' verurteilen, Gebäude nach 'palästinensischen Märtyrern' umbenennen und ein von palästinensischen Wissenschaftlern geführtes Forschungszentrum einrichten." Von den Protestcamps an der Freien Universität in Berlin und der Uni Hamburg berichtet die taz.

9punkt - Die Debattenrundschau vom 07.05.2024 - Gesellschaft

"Muslim Interaktiv" hat Blut geleckt und möchte gern mehr von der Aufmerksamkeit, die seiner Kalifen-Demo vor zwei Wochen zuteil wurde. Das ist ärgerlich, meint in der taz Nadine Conti, aber es muss wohl ausgehalten werden: "Ein Verbotsverfahren muss sorgfältig vorbereitet sein, es braucht Material, man muss verhindern, dass die gleichen Leute unter einem anderen Namen einfach weitermachen. Denn viel gefährlicher als diese großspurigen öffentlichen Auftritte ist das, was da im Netz und hinter verschlossenen Türen passiert. Und wenn sich eine wachsende Anzahl von Jugendlichen davon angezogen fühlt, ist das das eigentliche Problem, um das man sich kümmern muss. 'Extremisten geben die falschen Antworten auf die richtigen Fragen', hört man in diesem Zusammenhang immer wieder. Und zu den richtigen Fragen, der Art von Fragen, bei denen sich Schulen und andere Institutionen zu oft wegducken, gehört: Warum können wir nicht über Gaza reden? Warum tut ihr so, als würde es keinen antimuslimischen Rassismus geben?" Man kann nicht über Gaza reden? Im Ernst?

Bestellen Sie bei eichendorff21!
Den Aufstieg des Populismus erklärt der Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky in seinem aktuellen Buch "Was Populisten wollen" im Tagesspiegel-Gespräch als "Ideologie der Selbstermächtigung": "Wir sehen, dass die Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland über die Jahre sukzessiv zurückgegangen ist. In einer Umfrage aus dem Jahr 2022 äußerten 28 Prozent der Befragten die Überzeugung, in einer Scheindemokratie zu leben, in der sie nichts zu sagen hätten. Gleichzeitig sehen wir, dass immer mehr Menschen eine negative Sicht auf ihre eigene Zukunft entwickeln. Ich glaube, das Misstrauen in die Politik hat viel mit der Angst vor Statusverlust zu tun. Und die hängt aus meiner Sicht wiederum eng mit den Sozialstaatsreformen der 90er Jahre zusammen - sei es in den USA, in Großbritannien oder in Deutschland, wo Anfang der 2000er Jahre Hartz IV eingeführt wurde."

"Wir müssen unsere Demokratie resilienter gegen Angriffe machen", fordert der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss im Zeit Online-Gespräch, in dem er zu mehr Opferbereitschaft auffordert: "Alle müssen sich fragen: Was kann ich für die Demokratie tun? Keine neue Erkenntnis: Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, frag, was du für dein Land tun kannst. Das ist eine so einfache wie schwierige Aufgabe. Sie bedeutet in letzter Konsequenz, dass für mich als Demokrat mein persönliches Leben nicht das Wichtigste ist. Mein Interesse steht nicht über meinen Idealen, steht nicht über der Freiheit oder der Gerechtigkeit. Alleine kann niemand frei sein, dazu braucht es eine freie Gesellschaft. Auch Gerechtigkeit gibt es nur kollektiv, und Frieden schließlich kann es nur in einer gerechten Gesellschaft geben."

"Wir sind weit, weit entfernt von den Rahmenbedingungen der Weimarer Republik, glücklicherweise, und man sollte jetzt auch nicht anfangen, das Ende der Weimarer Republik sozusagen schon für die Bundesrepublik zu prognostizieren", sagt im FR-Gespräch Stephan Zänker vom Haus der Weimarer Republik, ergänzt aber: "Demokratie wird immer angegriffen; es ist ein Normalzustand, dass es antidemokratische Kräfte gibt. Die haben auch in der Weimarer Republik gewirkt, und dort exemplarisch in besonderer Ausprägung, so dass man daraus natürlich auch lernen kann, welche Gegenmaßnahmen sinnvoll sind und welche damals nicht geholfen haben."

In der taz stellt Laura Lückemeyer die Organisation "Men Having Babies" vor, die sich Ende April in Berlin traf. Lückemeyer durfte offiziell als einzige Reporterin von der Veranstaltung berichten. "Bei MHB geht es darum, schwule Männer über den Zugang zur Leihmutterschaft zu informieren. Die Veranstaltung ist öffentlich, Mitglieder zahlen 30, Nichtmitglieder 40 Euro für zweieinhalb Tage Programm. Auf ihrer Webseite bezeichnet sich MHB als 'not-for-profit-corporation', bei Instagram als 'International nonprofit' und verspricht ausführliche Vorträge und persönliche Beratungen von Rechtsexperten und Kinderwunschzentren." Leihmutterschaft ist in Deutschland verboten, in anderen Ländern wie zum Beispiel den USA erlaubt. Von den Risiken für die Frauen wurde nicht gesprochen. "In einer nun folgenden Paneldiskussion haben alle Teilnehmenden die gleiche Perspektive auf das Thema: Leihmutterschwangerschaft sei ethisch vertretbar, weil die Frauen einen Ausgleich für die Schwangerschaft erhielten. Dennoch versichert eine Leihmutter weiter, dass Frauen es nicht für das Geld tun, sondern weil Frauen es intrinsisch in sich haben, anderen Menschen zu helfen. Mir wird übel."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 06.05.2024 - Gesellschaft

Nein, die Berliner Republik ist nicht Weimar. Aber der taz-Autor Klaus Hillenbrand fühlt sich durch den gewalttätigen Angriff auf den Dresdner Poltiker Matthias Ecke und andere politische Gewalttaten gegen grüne und SPD-Politiker trotzdem an "die düsteren Zeiten um 1930" erinnert: "Es ist die enthemmte Gewalt, die alarmiert. Die Bereitschaft, politische Auseinandersetzungen mit der Faust zu führen. Der Konsens in der alten Bundesrepublik, dass so etwas bei Strafe der politischen Ächtung nicht statthaft ist, ist zerbrochen, das zeigen auch manche zynischen Reaktionen aus den Reihen der AfD. Und wenn auch rechts eingestellte Personen zu den Angegriffen zählen, so ist beim weit überwiegenden Teil aller Taten eine rechtsradikale Motivation der Täter naheliegend."

Den Weimar-Vergleich möchte der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) im SZ-Interview mit Jan Heidtmann in Bezug auf den Angriff auf Matthias Ecke nicht ziehen. "Das mit Weimar zu vergleichen, geht mir zu weit. Das sehe ich nicht so. Mein Befund ist aber auf eine andere Art nicht gut: Ich glaube, viele der Übergriffe sind nicht geplant, sondern spontane Aktionen. Das hat dann nichts mit Weimar zu tun, wo sich klar definierte Gruppen gegenüberstanden. Ich glaube, es ist vielmehr eine allgemeine Verrohung, die solche Angriffe leicht und jederzeit möglich macht. Diese latente Bedrohung ist polizeilich allerdings schwieriger zu beherrschen, als wenn wir eine harte Rechts-Links-Front hätten. Das Gefährliche an dieser Situation war vorhersehbar, der äußerste rechte Rand der Parteien verliert bei seinen Mitgliedern und Anhängern in vielen Bereichen zunehmend die Kontrolle."

Nach dem Attentat von Hanau ließ das Bundesinnenminsterium für 1,5 Millionen Euro von der Expertin Saba-Nur Cheema und anderen einen Bericht zur Muslimfeindlichkeit erstellen, der heute weggeperrt ist: Der Bericht enthielt Angriffe auf Diskursgegner, die vor Gericht als nicht statthaft verurteilt wurden. Jörg Metes konnte den Bericht trotzdem lesen und resümiert ihn für die Ruhrbarone. Nicht leugnen kann er, dass die Experten ein großes Potenzial für den Arbeitsmarkt offengelegt haben, denn das wichtigste seien die zu treffenden Maßnahmen: "Der Expertenkreis denkt an 'Präventions'-, an 'Integrations'- und an 'Interventionsmaßnahmen'. Er denkt an 'Bildungs'- und an 'Fortbildungs'- und an 'Sensibilisierungsmaßnahmen'. Er denkt an 'Aufklärungs'-, an 'Empowerment'-, an 'Mentoring'- und an 'Fördermaßnahmen'. Er denkt sogar an 'Handlungsmaßnahmen'. Und für die Durchführung braucht es natürlich die verstärkte Einbeziehung von Fachleuten. Und es braucht erst recht mehr Forschung zum Themenfeld Muslimfeindlichkeit. Es bedarf eines nachhaltigen Ausbaus dieser Forschung, und zwar durch einschlägige Professuren, Förderlinien und Studiengänge."

Gegen antiisraelische Äußerungen könnte bald stärker vorgegangen werden, das geht zumindest aus einem Briefwechsel zwischen Bundesinnenministerium und Bundesjustizministerium hervor, schreibt Ronen Steinke in der SZ. In dieser Frage sei Innenministerin Nancy Faeser sowieso schon ohne Zustimmung des Bundestages vorangeschritten: "Die Parole 'From the river to the sea, Palestine will be free' wurde Anfang November von Faesers Haus per ministerialer Verfügung zu einem Symbol der verbotenen Hamas erklärt. Die Folge ist, dass die Parole nun als Kennzeichen einer terroristischen Organisation gilt - strafbar nach Paragraf 86a des Strafgesetzbuchs mit Geldstrafe oder bis zu drei Jahren Haft. Es gibt in einzelnen Bundesländern schon erste Strafverfahren deswegen."

Die Gruppe "Muslim Interaktiv" ist schon lange aktiv, 2020 haben sie schon das Attentat in Hanau als anti-palästinensisches Attentat umgedeutet, erklärt der Historiker Volker Weiß in der SZ. "Die Agitatoren von Muslim Interaktiv beherrschen die Kunst, den eigenen Absolutheitsanspruch mit zivilgesellschaftlicher Toleranzrhetorik vorzutragen. Neben den Schildern, auf denen das Kalifat als Lösung aller Probleme gepriesen wird, werben sie für 'Diskurs' und prangern eine 'koloniale Ordnung' an. Ebenso virtuos wie die deutschen Rechten beherrschen sie die Opferrolle, sie klagen über 'Islamfeindlichkeit' und 'Unterdrückung' von Muslimen in der 'Wertediktatur' westlicher Demokratien. Indem sie ihre rigiden Religionsauslegungen und -praktiken mit denen 'der Muslime' gleichsetzen, werden Maßnahmen gegen den politischen Islam zur Repression gegen die gesamte Religion umgedeutet. So will sich die Kalifats-Ideologie unter der Fahne der Toleranz und Religionsfreiheit den Weg bahnen." Hier zeige sich auch, "wie lähmend der Identitätszirkus der letzten Jahre wirkt". "Die Lähmung wird nur aufgelöst werden, wenn religiöse und ethnozentristische Identitäre, politischer Islam und extreme Rechte als Teile desselben Problems erkannt werden."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 03.05.2024 - Gesellschaft

Nicole Dreyfus versucht in der Jüdischen Allgemeinen das Trauma zu bescheiben, das sie und die jüdische Community weltweit seit dem 7. Oktober zu verarbeiten haben: "Es sind nicht nur sieben Monate vergangen, seit die Hamas im Süden Israels einfiel und massenhaft Menschen folterte, ermordete oder in Geiselhaft nahm. Genauso lange ist es auch her, dass der Antisemitismus - wieder und immer noch - in seinen wildesten Auswüchsen grassiert und sich Juden an vielen Orten nicht mehr sicher fühlen. Angefangen an Orten, wo sie sich zu Hause wähnten."

Im Grunde ist es schon erstaunlich, was Werner Koch auf der Humanisten-Seite hpd.de berichtet. In Baden-Württemberg werden Schülern zwei Religionsstunden pro Woche angeboten. Aber jenen, die nicht daran teilnehmen, wird kein entsprechender Ethikunterricht geboten, obwohl darauf laut Schulgesetz ein Anspruch zu bestehen scheint. Während der Staat den einen die Bibeln und Gesangsbücher kauft und die Lehrer bezahlt, bekommen die anderen nichts. "Die Stellungnahme des Kultusministeriums hat es bestätigt: Obwohl die Landesregierung seit vielen Jahren verspricht, neben dem konfessionellen Religionsunterricht endlich auch an den Grundschulen des Landes das 'Ersatzfach' Ethik einzuführen, ist sie dazu nicht wirklich bereit: Die notwendigen Voraussetzungen werden planmäßig sabotiert; für zusätzliche Lehrkräfte wird kein Geld eingeplant; das Kultusministerium nennt nicht einmal einen Zeitplan, wann Ethik an den Grundschulen eingeführt werden soll."

In den letzten Tagen gab es viel Aufregung um die Hamburger Demonstration für ein Kalifat. Wer schwieg? Die großen muslimischen Verbände, Ditib oder der Zentralrat der Muslime, ärgert sich Katrin Elger bei Spon. "Eigentlich sollten die muslimischen Verbandschefs in heller Aufregung sein. Sie sollten runde Tische gegen Extremismus einrichten und Strategien entwerfen, wie sie muslimische Jugendliche besser erreichen können. Viele der Freitagspredigten sind zum Einschlafen und haben keinerlei Berührungspunkte mit der Lebenswelt junger Muslime in Deutschland. Es ist kein Wunder, dass Islamisten in Hoodies ihre Botschaften leicht an den Mann bekommen. Für die offiziellen Vertreter der muslimischen Glaubensgemeinschaften in Deutschland gäbe es viel zu tun. Stattdessen diese große Stille. Ein Schweigen, das nicht nur irritierend ist, sondern auch gefährlich."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 30.04.2024 - Gesellschaft

Die Frage, die sich der Staat mit Blick auf den Paragrafen 218 stellen muss, ist: "Was darf ein Staat einem Bürger antun, um das Leben eines anderen Bürgers zu erhalten", meint Nele Pollatschek im Aufmacher des SZ-Feuilletons: "Hier ist die Antwort, die der Gesetzgeber in allen Fällen außer §218 gibt, erschreckend eindeutig: Nichts. Wo ein Bürger eine Niere zum Überleben braucht und ein anderer Bürger zwei kompatible Nieren besitzt, darf der Staat nicht einfach zugreifen. Wo das Leben eines leukämiekranken Kindes nur durch eine Rückenmarkspende gerettet werden kann, darf der Staat sich nicht gegen den Willen eines kompatiblen Spenders bedienen. Nicht mal einen so minimalinvasiven Eingriff wie eine Blutspende darf der Staat zum Lebensschutz erzwingen. Sogar vor einer posthumen Organspendepflicht schreckt er zurück. So ernst nimmt der Staat das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, dass er es seinen Bürgern erlaubt, ihre toten Körper in Erdlöchern verrotten zu lassen, anstatt mit den Organen anderen das Leben zu retten."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 29.04.2024 - Gesellschaft

An der Columbia University dominieren nach wie vor propalästinensische Studenten das Bild, die Israelis empfehlen, "nach Polen" zurück zu gehen. Frauke Steffens berichtet in der FAZ wohlwollend über die Arbeit studentischer Journalisten, die an Uni-Radios und beim Columbia Daily Spectator durch ausgewogene Berichterstattung auffielen. Das sieht dann so aus, dass die Jungjournalisten bitten, die Mehrheitsmeinungen an der Uni zu respektieren, etwa beim Thema Israelboykott: "Im offiziellen Referendum am zur Universität gehörenden Columbia College etwa hätten rund 77 Prozent der Studierenden für den Rückzug der Hochschule aus israelischen Investitionen und rund 66 Prozent für ein Ende des Doppeldiploms mit der Universität Tel Aviv gestimmt."

Das aktuelle Editorial des Columbia Daily Spectator klingt dann auch eher aktivistisch. In einem offenen Brief an die Uni-Präsidentin Minouche Shafik beklagen die Jungjournalisten, dass diese die Polizei auf dem Campus zugelassen hätte und die Meinungsfreiheit beschädige. "Wenn Sie wirklich an 'gemeinsame Werte, die uns verbinden' appellieren wollen, müssen Sie sich mit den mehr als 30.035 palästinensischen Todesopfern auseinandersetzen. Ihre Studenten 'diktieren keine Bedingungen'; sie fordern Sie und die Verwaltung auf, sich mit den sich ausbreitenden Gräueltaten auseinanderzusetzen, an denen die Columbia mitschuldig ist."

Ebenfalls in der FAZ berichtet Michaela Wiegel über Studenten an der Pariser Elitehochschule Science Po, die sich ähnlich gebärden wie ihre New Yorker Kommilitonen.

Auch in London ist einiges los. "Die Polizei ist vom antisemitischen Mob so eingeschüchtert, dass sie sogar den Holocaust vertuscht", titelte am Wochenende die Daily Mail. So ganz stimmte die Schlagzeile allerdings nicht, denn es war nicht die Polizei, die das Mahnmal verhüllen ließ, sondern die Parkverwaltung der Stadt London - so der korrigierte Bericht der Daily Mail. "Städtische Beamte verbargen gestern Großbritanniens erstes öffentliches Mahnmal für die sechs Millionen Opfer des Nazi-Völkermords im Hyde Park unter einer blauen Plane, was ein Holocaust-Überlebender als 'beschämend' bezeichnete. Das Mahnmal wurde anschließend von Beamten der Metropolitan Police bewacht, um zu verhindern, dass es von pro-palästinensischen Demonstranten angegriffen wird, die bei einer weiteren Demonstration gegen den Krieg in Gaza durch London zogen."


Stichwörter: Columbia University, Tel Aviv

9punkt - Die Debattenrundschau vom 27.04.2024 - Gesellschaft

In der Welt ist Arnd Diringer einigermaßen fassungslos, welche Rechte das neue Selbstbestimmungsgesetz Eltern über ihre Kinder gibt: "Bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres können Eltern jetzt deren offizielles Geschlecht willkürlich festlegen. Wenn beispielsweise ein Paar sechs Monate nach der Geburt ihres Kindes feststellt, dass es lieber einen Andreas als eine Andrea großziehen will, genügt dafür ein Gang zum Standesamt. Eltern sind dabei gesetzlich nicht verpflichtet, das Kindeswohl zu achten. Eine Überprüfung durch ein Gericht oder eine Behörde erfolgt nicht. ... Um das Kind wird, wie es Rechtsanwalt Udo Vetter auf seinem mit dem Grimme Online Award ausgezeichneten Law Blog formuliert hat, dann 'ein Kordon des pflichtgemäßen Schweigens' errichtet. Großeltern, Kindergärtner und andere dürfen das tatsächliche Geschlecht des Kindes grundsätzlich nicht offenbaren. Machen sie es, drohen Bußgelder bis zu 10.000 Euro, Berufsträgern zudem arbeits- bzw. dienstrechtliche Konsequenzen."

Ein Gericht hat eine Verurteilung Harvey Weinsteins wegen Vergewaltigung aus juristischen Gründen aufgehoben. In der FAZ macht sich Claudius Seidl deshalb keine Sorgen: "Dass die alten, bösen Machtverhältnisse restauriert würden, muss trotzdem keiner befürchten. Juristische und moralische Urteile unterscheiden sich manchmal - und das moralische Urteil gegen Männer wie Weinstein wird durch die New Yorker Entscheidung nicht aufgehoben."

Naja, dieses ganze #metoo-Gedöns ging ja auch wirlich zu weit, nicht wahr, meint eine sarkastische Marina Hyde im Guardian: "Als sie die Nachricht hörten, dass Weinsteins Verurteilung am Donnerstag aufgehoben worden war, schaute eine ganze Reihe von Reportern zufällig auf genau die Stelle in dem New Yorker Gerichtssaal, in dem er gesessen hatte, als das ursprüngliche Urteil verkündet worden war. Das lag daran, dass sie ebendort auf die Verhandlung Donald Trumps in seinem Schweigegeldprozess warteten. Wie Sie sich vielleicht erinnern, steckt Donald Trump in so großen Schwierigkeiten, dass er der Kandidat der Republikaner und derzeitige Favorit der Buchmacher für die US-Präsidentschaftswahlen ist, obwohl er zugegebenermaßen hinter Weinstein, was sexuelle Übergriffe angeht, zurückbleibt: Nur 26 Frauen haben Trump beschuldigt. Letztendlich stellt sich aber wohl die Frage: Wenn #MeToo 'zu weit ging', wie hätte dann 'gerade weit genug gehen' ausgesehen?"

9punkt - Die Debattenrundschau vom 26.04.2024 - Gesellschaft

Auf den Seiten der Friedrich-Naumann-Stiftung erzählt die deutsch-israelische Journalistin Sarah Cohen-Fantl, warum sie mit ihrer Familie nach Israel zurückzieht. Sicher, in Israel ist im Moment Krieg. Aber ist Deutschland sicher? "Zur ganzen Wahrheit gehört, dass ich auch in Berlin Angst habe. ... Im Grunde ist dieser Judenhass natürlich nichts Neues. Schon bei unserem Umzug vor zwei Jahren, war ich skeptisch, wie sicher es gerade für meinen Mann, der kein Deutsch spricht, in Berlin sein würde. Doch der Hamas-Überfall am 7.Oktober und seine Folgen, die von Hetzpropaganda und Lügen bis hin zu antizionistischen Parolen und einem extremen Anstieg in antisemitischen Übergriffen reichen, haben es uns unmöglich gemacht, hier weiterhin eine Zukunft zu sehen und aufbauen zu wollen."

In der Welt überlegt der Rechtsprofessor Kai Möller durchaus abwägend, weshalb dem Bundesverfassungsgericht zu raten wäre, der von einer Expertenkommission vorgeschlagenen Liberalisierung des Abtreibungsrechts (Unsere Resümees) zu folgen. Zwar sei es aus moralischer Sicht "gut vertretbar, gegen Abtreibung zu sein. Aber als verfassungsrechtliche Vorgabe ist diese Haltung verfehlt, denn sie erklärt die politischen Überzeugungen aller derjenigen, die aus guten, rechtfertigbaren Gründen für die Legalisierung der Abtreibung eintreten, für illegitim. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts haben in ihren Urteilen zum Schwangerschaftsabbruch ihre eigenen moralischen Präferenzen dem ganzen Land aufgezwungen. Dadurch haben sie über Jahrzehnte hinweg die vielen Millionen Deutschen und ihre Repräsentanten im Bundestag, die aus vernünftigen, rechtfertigbaren Gründen eine andere Meinung hatten, um ihr demokratisches Recht gebracht, mit ihrer Mehrheit ein liberales Abtreibungsrecht zu verabschieden."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 24.04.2024 - Gesellschaft

Buch in der Debatte

Bestellen Sie bei eichendorff21!
Die ukrainisch-deutsche Politikerin (ehemals Piratenpartei, heute bei den Grünen)  Marina Weisband sieht im Tagesspiegel-Interview mit Barbara Nolte und Hans Monath die Demokratie in Deutschland massiv bedroht. In ihrem neuen Buch plädiert sie daher für frühe Demokratieförderung in Schulen. Als Jüdin sieht sie sich in den letzten zehn Jahren verstärkt Antisemitismus ausgesetzt, noch einmal mehr nach dem 7. Oktober. Das hat auch mit der Erstarkung der deutschen Rechtspopulisten zu tun, denen schnell ein Riegel vorgeschoben werden muss, wie sie findet: "Das Allererste, was wir tun müssen, ist ein AfD-Verbot anzustreben, und zwar selbst dann, wenn wir die Partei nicht sofort verbieten können. Denn: Wenn man ein Verbotsverfahren einleitet, wird es juristisch relevant, was die Parteiführung so in die Kameras sagt. Und dann hat sie Druck von zwei Seiten. Sie darf nichts Verfassungsfeindliches sagen, muss aber ihre Basis bedienen, die Verfassungsfeindliches hören will. Das wird zu Konflikten führen. Die Basis wird sich von der Führung abwenden. Es werden Köpfe rollen. Die AfD wird zerstört, weil sie nicht mehr ihre Message offen kommunizieren kann."

Inna Hartwich berichtet in der NZZ, dass zwei Männer, von der Presse rasch als "Deutschrussen" bezeichnet, verdächtigt werden, im Auftrag der Russischen Föderation Sabotageaktionen in Deutschland geplant haben. Hartwich nimmt das zum Anlass, über die Bezeichnung "Russlanddeutsche" oder "Deutsch-Russen" nachzudenken: Immer noch ist der Begriff mit Klischees behaftet, die deutsche Gesellschaft weigere sich beharrlich, sich mit dem historischen Hintergrund und der Lebensrealität der ehemals Geflüchteten auseinanderzusetzen: "Die Vorurteile befördern mitunter genau das, was so unerwünscht ist: dass sich Parallelgesellschaften bilden, dass sich viele der Angekommenen nie als Menschen mit eigener Geschichte - einer leidvollen Geschichte - wahrgenommen fühlen und deshalb ihr Glück dort suchen, wo sie hoffen, die Aufmerksamkeit zu bekommen, die ihnen fehlt: in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, vor allem in Russland, das sich solcher 'Suchender' bestens zu bedienen weiß, zu seinen Gunsten in seinem menschenverachtenden Sinne."