Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 18.05.2024 - Film

Francis Ford Coppolas selbstfinanziertes 120-Millionen-Dollar-Monstrum "Megalopolis" feiert in Cannes Premiere. Die ersten Reaktionen der Kritik sind, wie kaum anders zu erwarten, uneinheitlich. Maria Wiesner zeigt sich in der FAZ durchaus angetan. Denn "immer dann, wenn 'Megalopolis' zugleich Dokument des Eigensinns und Hommage an ein Jahrhundert Kinogeschichte wird, versteht man, warum dieser Film sein musste. Wenn Adam Driver auf einem silbernen Dachvorsprung steht, sich über den Abgrund beugt und kurz vor dem Fall die Zeit anhält, schnellt ihm der Abgrund mit Hitchcocks Vertigo-Effekt entgegen, als wäre er eben erst erfunden worden, und auch die Verbeugungen vor dem expressionistischen Kino der Weimarer Republik, wenn dunkle Schatten als Riesen über spiegelnde Hochhausfassaden gleiten, sind keine akademische Übung, sondern Herzenssachen."

Auch FR-Kritiker Daniel Kothenschulte würdigt Coppolas Wagemut, mit dem Ergebnis kann er sich freilich nicht allzu sehr anfreunden: "Was sich vielleicht ankündigt wie ein zweiter 'Blade Runner', bleibt technisch ungelenk und predigend-altherrenhaft. Manchmal sieht es aus wie der Softpornoklassiker 'Caligula' von Tinto Brass - nur ohne Sex. Und als wäre die Premiere nicht sonderbar genug, ergriff während der Vorführung plötzlich ein Schauspieler aus Fleisch und Blut das Mikrofon, um Adam Drivers Filmfigur ein paar Fragen zu stellen - nicht allerdings jene, die dieses merkwürdige Gesamtkunstwerk selbst aufwarf." Für die FAZ rezensiert David Steinitz, für die taz Tim Caspar Böhme, für den Standard Valerie Dirk. Hier der bildgewaltige Trailer:



Außerdem: Kai Spanke analysiert in der FAZ John Carpenters Horrorklassiker "Halloween". Jenni Zylka macht sich in der taz entlang einiger Cannes-Filme Gedanken über Geschlechterverhältnisse. Jan Küveler berichtet für die Welt aus Cannes, wo dieses Jahr die Frauen im Zentrum stehen sollen. Auch Josef Lederle meldet sich im filmdienst von der Croisette.

Besprochen werden George Millers "Furiosa: A Mad Max Saga" (FAZ) sowie Agnes Lisa Wegner und Cece Mlays Dokumentarfilm "Das leere Grab" (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 17.05.2024 - Film

Das Filmfestival Cannes startet mit Filmen, die aktuelle Diskussionen um #metoo in den Blick nehmen, berichtet Tim Boehme für die taz: "Wie um das strukturelle Unrecht der Filmbranche symbolisch auszugleichen, erzählen die ersten Filme des Wettbewerbs von starken Frauen, die sich in ganz unterschiedlichen feindlichen Umgebungen behaupten müssen. 'Diamant brut' der französischen Regisseurin Agathe Riedinger folgt der jungen Liane (Malou Khebizi) durch ihren Alltag im verschlafenen Fréjus an der Côte d'Azur. Sie ist Instagrammerin, die in ihrem Account hauptsächlich ihren Körper thematisiert. Ihre Brüste hat sie schon machen lassen, sie überlegt, sich einen Brazilian Butt zuzulegen. Ihre Mutter ist arbeitslos, für das notwendige Geld klaut sie im Einkaufszentrum Parfum und Computerzubehör, das sie in der Nachbarschaft verhökert." "Furiosa: A Mad Max Saga" und "The Girl with the Needle" führt sich der Kritiker ebenfalls zu Gemüte und resümiert: "Gewalt ist keine Lösung, aber manchmal muss man sich trotzdem wehren."

Weitere Updates aus Cannes: David Steinitz feiert in der SZ Meryl Streep und den Actionfilm "Furiosa: A Mad Max Saga". In der FAZ berichtet Maria Wiesner aus Cannes über George Millers Mad-Max-Film "Furiosa", Agathe Riedingers "Diamant brut" und Judith Godrèches MeToo-Kurzfilm. Anke Leweke sah für Zeit online Francis Ford Coppolas "Megalopolis", in der Welt schreibt darüber Hanns-Georg Rodek.
Stichwörter: Cannes, Cannes 2024, Megalopolis

Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.05.2024 - Film

Warum sind Menschen Monster? Nuri Bilge Ceylans "Auf trockenen Gräsern"

Auch Nuri Bilge Ceylans neunter Spielfilm "Auf trockenen Gräsern" steckt wieder voller "mitreißender, philosophischer Dialoge", stellt Perlentaucher Patrick Holzapfel fest. Der Film handelt von einem Kunstlehrer in Ostanatolien, der sich zu einer Schülerin hingezogen fühlt. "Wie immer bei Ceylan handelt es sich auch bei dieser Arbeit um eine an Anton Tschechow und dem Existenzialismus geschulte Auseinandersetzung mit der Ambiguität des menschlichen Seins. ...  Der Film fragt: Was wäre, wenn man ein Monster wie einen Menschen filmt? Oder anders: Warum sind Menschen Monster? Es mag widersprüchlich klingen, aber hinter dieser Schwärze verbirgt sich ein Humanismus, der das Menschliche eben gerade im Niederträchtigen verteidigt. Manchmal bewegt sich 'Auf trockenen Gräsern' bedrohlich nahe an den Grenzen des Apologetischen, insgesamt aber überlässt er uns das Urteil." Im Freitag hält Thomas Abeltshauser fest: "Es sind stets die Männer in Ceylans Diskurs-Epos, die sich aufgeklärt geben und doch beim kleinsten Widerstand als unreife und egomane Kindsköpfe erweisen, die auf dem Status quo beharren." Und Bert Rebhandl schwärmt online nachgereicht in der FAS: Ceylan "hat im Weltkino einen vergleichbaren Rang, wie ihn Orhan Pamuk in der Weltliteratur hat. Gäbe es einen Nobelpreis für Filme, Ceylan wäre unzweifelhaft ein Kandidat." Auch sein FAZ-Kollege Andreas Kilb ist vollauf überzeugt: "Wirklich großes Kino lässt uns darüber staunen, wie vertraut uns die Dinge sind, die es in Bilder übersetzt. So wie 'Auf trockenen Gräsern', ein Film von Nuri Bilge Ceylan."

Updates aus Cannes: Tim Caspar Boehme (taz) und Andreas Scheiner (NZZ) sahen Quentin Dupieuxs Meta-Komödie "Le deuxième acte", die das Festival eröffnete (mehr dazu bereits hier). Daniel Kothenschulte (FR) und Jan Küveler (Welt) berichten von der Eröffnungsgala des Festivals. Valerie Dirk porträtiert im Standard die französische Schauspielerin Judith Godrèche, die die aktuelle französische MeToo-Debatte (über die Lena Bopp in der FAZ schreibt) mit in Gang gesetzt hat und deren Kurzfilm "Moi Aussi" auf dem Festival läuft.

Weitere Artikel: Marian Wilhelm empfiehlt im Standard das Ethnocineca-Filmfestival in Wien. Besprochen werden Meg Ryans "What Happens Later" (Perlentaucher), John Krasinskis "IF: Imaginäre Freunde" (FAZ), Pablo Bergers Animationsfilm "Robot Dreams" (Freitag), Ole Bornedals Horrorfilm "Nightwatch: Demons Are Forever" (SZ, FD), die ARD-Serie "Die Zweiflers" (taz) und ein ARD-Porträtfilm über den Medienanwalt Christian Schertz (BLZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.05.2024 - Film

Gefühlt vergeht derzeit kaum ein Tag ohne einen offenen Brief, der missliebige Menschen und Milieus anprangert. Nun wird gegen den Produzenten Martin Moszkowicz mobil gemacht, dem schlechte Arbeitsbedingungen bei Til-Schweiger-Produktionen vorgeworfen werden. Auf den ersten Blick eher überraschenden Beistand erfährt er durch Lars Henrik Gass, den Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, der auf Blickpunkt Film zwar deutlich macht, dass er Moszkowiczs Arbeit nicht über alle Maßen schätzt, aber diese Form des Protests eben noch um ein Vielfaches weniger: "Je politisch wirkungsloser die Filmverbände agieren, desto lauter treten sie auf in korporativem Beharrungsvermögen. Das Auftreten erweckt den Eindruck von Gewicht, das man faktisch nicht hat. Symbolpolitik ist die Schrumpfform bürgerlicher Kultur, die sich in zivilgesellschaftlichen Bandenkriegen zeigt, insbesondere in der Filmbranche. ...  Der Offene Brief als Genre kulturpolitischer Auseinandersetzungen gibt bündig Auskunft über den Stand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und die Erosion von Kriterien im Umgang mit Film in diesem Land. Weder hat man für wirtschaftlichen Erfolg noch für künstlerische Qualität Maßstäbe, über die eine Verständigung die Mühe des Aufwands noch lohnte. Und das hat Gründe: Die Filmbranche erzeugt immer mehr und immer komplexere Teilhabeansprüche, die befriedigt werden müssen."

Bei den Kinos, ohne die kein noch so gut geförderter Film sein Publikum finden kann, wächst die Nervosität angesichts Claudia Roths Plänen für die Reform der Filmförderung, die bis Ende des Jahres stehen muss, aber nach Ansicht der Kinobetreiber deren Branche zu wenig würdigt, schreibt Andreas Busche im Tagesspiegel. "Verbandschef Christian Bräuer von der AG Kino, der Gilde deutscher Filmkunsttheater, hatte für den aus Kinobetreibersicht enttäuschenden Entwurf im Februar bereits ein sinniges Bild: 'als würde man nur den Bau von Elektroautos fördern, ohne sich um Ladesäuleninfrastruktur und Straßennetze Gedanken zu machen'. Doch die Prioritäten liegen - das zeigt der aktuelle Referentenentwurf - woanders: bei den Produzenten."

Warum tun wir uns das hier eigentlich an? "La deuxième Acte" von Quentin Dupieux

Mit Quentin Dupieuxs "Le deuxième acte" wurde das Filmfestival Cannes gestern Abend mit einer waschechten Meta-Komödie eröffnet: Der Film beginnt zunächst wie eine zähe, die Geduld des Publikums belastende Schmonzette, bevor die Schauspieler Lea Seydoux und Louis Garrel vor der Kamera gegen diese Zumutung revoltieren, gefolgt von einer Debatte "über die Sinnhaftigkeit des heutigen Filmemachens ('Leute verhungern, es ist Krieg, und wir tun auf der Leinwand so, als wäre nichts')", schreibt Maria Wiesner in der FAZ. Damit bleibe sich Dupieux "als eifriger Schüler Luis Buñuels, David Lynchs, aber auch des jüngst verstorbenen Roger Corman" treu: "Die Debatte über politische Korrektheit nimmt der knappe Neunzigminüter ebenso auf wie die Diskussion über Cancel Culture; obendrein sitzt für den Film im Film eine Künstliche Intelligenz im Regiestuhl, die jedes Abweichen der Schauspieler vom vorgegebenen Text zwar nachträglich per Digitaleingriff korrigiert, ihnen dafür aber auch umgehend die Gage kürzt."

Mehr aus Cannes: In der französischen Filmbranche, aber auch an der Croisette ist MeToo das bestimmende Gesprächsthema, berichten Andreas Busche (Tagesspiegel) und Jan Küveler (Welt). Tim Caspar Boehme war für die taz bei der Eröffnungs-Pressekonferenz. David Steinitz hat sich für die SZ mit Jurypräsidentin Greta Gerwig getroffen.

Und ansonsten: Im Filmdienst gratuliert Jens Hinrichsen George Lucas zum 80. Geburtstag. Marc Hairapetian plaudert für die FR mit dem Schauspieler Frederick Lau. Besprochen werden Nuri Bilge Ceylans "Auf trockenen Gräsern" (taz, Zeit Online), eine Ausstellung über die "Simpsons" in Dortmund (FD), die vom ZDF online gestellte Serie "Exit" (FAZ) und die Serie "The Gentlemen" (Jungle World).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 14.05.2024 - Film

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Der in Iran vor einer Woche zu einer achtjährigen Haftstrafe plus Peitschenhiebe verurteilte Filmemacher Mohammed Rasoulof ist aus seiner Heimat geflohen und befindet sich in Europa, melden die Agenturen. Die Reise ging offensichtlich durchs Grenzland in den iranischen Bergen, wie dem oben eingebundenen Instagram-Posting zu entnehmen ist. Im Text dazu erfahren wir Weiteres: "Wenn der geografische Iran unter den Stiefeln Eurer religiösen Tyrannei leidet, so lebt der kulturelle Iran in den Köpfen von Millionen Iranern weiter, die wegen Eurer Unterdrückung und Barbarei gezwungen waren, das Land zu verlassen." Es ist ein bitterer Abschied mit Kampfansage: "Ab heute bin ich Bewohner des kulturellen Iran. Ein grenzenloses Land, das Millionen Iraner mit alter Geschichte und Kultur in jeder Ecke der Welt gebaut haben. Und sie warten ungeduldig darauf, dich und deine Unterdrückungsmaschine in den Tiefen der Geschichte zu begraben." Die Presseagentur seines neuen Films kommt auch auf die Repressalien zu sprechen, denen er und seine Crew zuletzt ausgesetzt waren: "Bevor die Geheimdienste der Islamischen Republik über die Produktion meines Films informiert wurden, konnten einige der Schauspieler den Iran verlassen. Viele der Schauspieler und Agenten des Films befinden sich jedoch noch im Iran und werden vom Geheimdienst unter Druck gesetzt." Die Geheimdienstler "stürmten das Büro des Kameramanns, und seine gesamte Arbeitsausrüstung wurde beschlagnahmt. Sie hinderten auch den Tontechniker des Films daran, nach Kanada zu reisen. Während der Verhöre der Filmcrew forderten die Geheimdienstler sie auf, mich unter Druck zu setzen, damit ich den Film vom Festival in Cannes zurückziehe."

Das Festival in Cannes wird heute Abend eröffnet, die Filmkritiker bieten einen ersten Ausblick. Es ist ein Jahrgang unter den Eindrücken von MeToo, die jüngsten Skandale um Gérard Depardieu, Jacques Doillon und Benoît Jacquot erschüttern die französische Filmbranche, schreibt Tim Caspar Boehme in der taz. "Wie die Zeitung Le Figaro berichtet, trifft das Festival schon Vorbereitungen für zu erwartende #MeToo-Proteste im großen Stil. So hat dessen Präsidentin Iris Knobloch eigens ein Team für das Krisenmanagement angeheuert. Die Rede ist von Dutzenden Regisseuren, Schauspielern und Produzenten, denen zusätzlich öffentliche Vorwürfe wegen sexualisierter Gewalt gemacht werden könnten."

Die Gallionsfigur der Proteste ist die Schauspielerin Judith Godrèche, schreibt Andreas Busche im Tagesspiegel. Dass deren "Kurzfilm 'Moi aussi' ('Me too') nun während der Eröffnungszeremonie gezeigt werden soll, ist nicht mehr als ein Feigenblatt. Noch im vergangenen Jahr hatte sich Fremaux auf der Cannes-Pressekonferenz pikiert über die Schauspielerin Adèle Haenel geäußert, die den virulenten Sexismus in der französischen Filmbranche und in Cannes beklagte." Für Standard-Kritikerin Valerie Dirk "grenzt es nahezu an ein Wunder, dass Cannes - ein Festival, das traditionell auf l'art pour l'art und mitunter auch auf umstrittene Persönlichkeiten setzt - der MeToo-Debatte Platz einräumt. Doch vielleicht dreht sich der Mistral an der Côte d'Azur ja, seitdem mit Iris Knobloch 2022 die erste Frau an der geschäftsführenden Spitze des Festivals steht. Mit Greta Gerwig als Jurypräsidentin wurde zudem ein feministisches Statement gesetzt, auch wenn der Wettbewerb mit nur vier Regisseurinnen eine andere Sprache spricht."

Abseits dieser Debatte ist das Film-Buffet allerdings wieder reich gedeckt, Festivalleiter Fremaux hat seine internationalen Kontakte mal wieder prächtig spielen lassen: Er "und seine Kollegin Iris Knobloch ... haben einfach alle Filme bekommen, die man als Festivalmacher derzeit gerne hätte", schreibt Tobias Kniebe in der SZ. "Nach der mageren jüngsten Berlinale im Februar liest sich das diesjährige Cannes-Programm fast schon wie eine Demütigung für die deutsche Konkurrenz." FR-Kritiker Daniel Kothenschulte ist gespannt auf Francis Ford Coppolas komplett aus eigener Tasche finanzierten 120-Millionen-Dollar-Blockbuster "Megalopolis", der mit einem wuchtigen Schlussakkord das Werk des New-Hollywood-Meisters abschließen soll, und auf Filme von David Cronenberg, Yorgos Lanthimos und Paul Schrader. Valerie Dirk porträtiert für den Standard den aus Mogadischu stammenden, österreichischen Regisseur Mo Harawe, der gleich mit seinem Debütfilm nach Cannes eingeladen wurde.

Weitere Artikel: Axel Weidemann (FAZ) und Tobias Kniebe (SZ) gratulieren George Lucas zum 80. Geburtstag. Thomas Klein schreibt im Filmdienst einen Nachruf auf den Produzenten Roger Corman (weitere Nachrufe hier). Besprochen werden Nuri Bilge Ceylans "Auf trockenen Gräsern" (Standard), Angela Christliebs Dokumentation "Pandoras Vermächtnis" über G.W. Pabst (Standard), der vom ZDF online gestellte Thriller "Unsichtbarer Angreifer" (FAZ) und die zweite Staffel von "Interview with the Vampire" (Tsp).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.05.2024 - Film

Die Filmkritiker trauern um Roger Corman, der im gesegneten Alter von 98 Jahren (und bis zuletzt in seinem Beruf aktiv) den Hut genommen hat. Der Produzent hunderter, mitunter immens ertragreicher Low-Budget-Filme (den Begriff "B-Movies" lehnte er aus filmhistorischen Gründen ab) hat die Filmgeschichte vielleicht wie kein Zweiter geprägt: Er gab den wichtigsten Regisseuren von New Hollywood einst erste Jobs und damit Starthilfe, auch Peter Fonda und Jack Nicholson lernten bei ihm ihr Handwerk. "Jeder mittellose Kinoträumer, der für ein paar Dollar mit anpacken wollte", war ihm willkommen, schreibt Tobias Kniebe in der SZ. "Oft sah man das Handgemachte, Gummimaskierte, Amateurhafte. Manchmal aber auch genialisches Können. Wer am ersten Tag so fahrlässig war, gute Ideen zu äußern, schrieb am zweiten vielleicht schon das Drehbuch um und führte am dritten Tag Regie. So kamen Francis Ford Coppola, Peter Fonda, Jonathan Demme, Gale Anne Hurd, Dennis Hopper, Peter Bogdanovich, Curtis Hanson, John Sayles und Talia Shire - und gingen durch seine harte Schule."

Corman "begriff B-Movies als ästhetischen Freiraum", schreibt Ekkehard Knörer in der taz. "Wo nicht viel Geld im Spiel ist, ist mancherlei möglich. Die Prämisse war trotz Nudity, Gewalt und schneller Kicks gerade das Gegenteil der Verachtung von Kunst: Noch und gerade im Billigen, Schnellen, Schmutzigen kann man eigensinnigen Leuten Freiheiten lassen und falsche Rücksichten auf den guten Geschmack hinter sich." Ein hemdsärmeliger Draufgänger war er aber nicht, erinnert sich Daniel Kothenschulte in der FR: "Wer ihn traf, erlebte das denkbare Gegenstück vom Klischee eines Filmproduzenten. Corman war ein gebildeter Gentleman, der mit sanfter Stimme über die Farbgestaltung seiner selbst inszenierten Edgar-Allan-Poe-Verfilmungen mit Vincent Price plaudern konnte. Mit seinem Verleih brachte er in den Siebzigern Werke von Fellini, Kurosawa oder Schlöndorffs 'Katharina Blum' in amerikanische Kinos." Weitere Nachrufe schreiben Bert Rebhandl (FAZ), Daniela Sannwald (Welt) und Pamela Jahn (NZZ).

Einen seiner letzten öffentlichen Auftritt hatte Corman, körperlich schon sichtlich gebrechlich, aber geistig noch hellwach, vor einem halben Jahr in einem Youtube-Video, für das er sich durch das Archiv des US-BluRay-Labels Criterion wühlt:



Außerdem: Sissy Rabl beschäftigt sich für die Presse mit der Kostümausstattung der Serie "Bridgerton", die eher auf Pomp als auf historische Authentizität Wert legt. Besprochen werden Oskar Roehlers "Bad Director" (taz, mehr dazu bereits hier) und Wes Balls' neuer "Planet der Affen"-Film (NZZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 11.05.2024 - Film

Lukas Foerster und André Malberg resümieren im Perlentaucher die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen. Foerster rekonstruiert noch einmal die bizarren Dynamiken, die sich aus den wohl bewusst bösartigen Missdeutungen eines Facebook-Postings von Festivalleiter Lars-Henrik Gass ergaben, der sich kurz nach dem 7. Oktober mit Israel solidarisiert hatte. Die Folgen daraus lassen sich wohl wirklich nur mit der "pathosbesoffenen Komplettunentspanntheit" der heutigen "Social-Media-Diskursgegenwart" erklären. Foersters Fazit: "Wie aber ist diese elendige Vorgeschichte hinterher zu bewerten, nach einem krawallfreien und auch sonst weitgehend erfolgreich absolvierten Festivalausgabe? Die diversen diskursiven Verengungen und Verkrampfungen, die unsere Mediengesellschaft prägen, werden wir nicht so schnell los werden. Aber den Beweis, dass es möglich ist, ein anregendes, dem friedlichen Diskurs verpflichtetes und, ja, auch diverses Filmfestival zu organisieren, ohne sich von humorbefreiten Schreihälsen vor sich her treiben zu lassen, den haben die Kurzfilmtage Oberhausen dieses Jahr erbracht." Weitere Resümees schreiben Stefan Laurin (Jungle World) und Lukas Barwenczik (Filmdienst).

Weitere Artikel: Jakob Thaller spricht für den Standard mit dem iranischen Regisseur Alireza Khatami, der in seinem satirischen Episodenfilm "Irdische Verse" den teils bizarren Alltag in Iran aufs Korn nimmt. Axel Weidemann gratuliert in der FAZ der Schauspielerin Sabine Postel zum 70. Geburtstag. Marie-Luise Goldmann erinnert in der Welt daran, wie Alfred Hitchcock einst im Carlton Hotel in Cannes "Über den Dächern von Nizza" drehte. Besprochen werden die ARD-Serie "Die Zweiflers" (für die SZ online nachgereicht vom TA, BLZ), Wes Balls neuer "Planet der Affen"-Film (Welt), der neue Garfield-Animationsfilm (Standard), neue Kinofilme über Väter (TA) und die ARD-Serie "Player of Ibiza" (Zeit Online).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 10.05.2024 - Film

Warum sucht er sich nicht einfach ein nettes Hobby? "Bad Director" von Oskar Roehler mit Oliver Masucci, der Roehler ähnelt, aber Gregor Samsa heißt.

Oskar Roehlers "Bad Director", eine lose Adaption seines 2017 erschienenen, autobiografischen Romans "Selbstverfickung", spaltet die Kritik. Die grelle Satire auf den Filmbetrieb - und das vornehmlich auf eigene Kosten - findet FAZ-Kritiker Andreas Kilb schrecklich verlabert: Zwar "gibt es auch ein paar weniger selbstgefällige Szenen in diesem Film, und in der besten davon beißt Anne Ratte-Polle ... in einen Flokatiteppich. Aber sofort geht das Gequassel weiter. Wenn man sich in Zukunft etwas wünschen dürfte vom alternden cineastischen Enfant terrible Oskar Roehler, dann wäre es weniger Palaver." Tagesspiegel-Kritiker Andreas Busche winkt angesichts der Provokationen und Provokatiönchen Roehlers müde ab: "Natürlich legt Roehler es darauf an, dass ein gewisser Schlag von Kritikern sich über seine Filme empört. ... Wenn die Provokation inzwischen aber der einzige Grund für diese Arbeitsverweigerung von einem Kinofilm ist, warum sucht sich der Regisseur nicht einfach ein nettes Hobby?"

Differenzierter umkreist Perlentaucher Jochen Werner "Roehlers lustigsten Film": Dessen "Lebensthema" ist immerhin "das Böse, das Lächerliche und das Mickrige nicht als das Andere bloßzustellen. Die da, aber nicht wir - das war nie Roehlers Modus von Kritik. Sein künstlerisches Projekt war immer, den Nazi, den Sexisten, den Zwangsneurotiker, den Narzissten, den lächerlichen alternden Mann in uns allen ans Tageslicht zu zerren - und zuallervorderst in sich selbst." SZ-Kritiker Philipp Bovermann kommt auf seine Kosten: Der Film "ist natürlich geschmacklos, auf eine Art, die erst gar nicht versucht, auf irgendwelchen Metaebenen raffiniert zu sein. Die Metaebene ist, dass alle sich mal verpissen können. Weshalb man 'Bad Director' wohl nicht recht täte, den Film für etwas zu preisen, das er gar nicht sein will - auch das Feuilleton spielt in dieser Aufführung natürlich seine Rolle. Vielleicht ist der Film einfach nur das, was er ist: ein deutscher Horrorfilm. Ein lustiger und sehr, sehr böser."

Auf Artechock erzählt Dunja Bialas von ihren Eindrücken bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen, wo sie ein Panel moderierte. Im Vorfeld wurde sie dafür von manchen aus der Branche unter der Druck gesetzt, und wenn es nur die angedrohte Entfreundung auf Facebook war. Dabei war das Festival in diesem Jahrgang ein gutes Beispiel für Deeskalation, für die Rückkehr zum produktiven Streit, schreibt sie - während viele dem Festival demonstrativ fernblieben. Für sie ist es "unerklärlich, weshalb sich der Kulturbetrieb gerade von innen her zu zersetzen scheint. Außer, weil man das gerade irgendwie geil findet. Kulturkampf! Ich denke an die Freunde, die ich nicht entfreudet habe, obwohl sie es von mir verlangt haben, weil ich nach Oberhausen gefahren bin (und dort noch dazu eine aktive Rolle übernommen habe). Ich denke daran, an welchen gemeinsamen Projekten wir mal gearbeitet haben. Da ging es um die Sichtbarmachung von Filmen. ... Ich denke daran, wie einer dieser Freunde mich mal gefragt hat, ob wir jetzt als Festival ihre Filme nicht mehr zeigen, sie als Kritiker nicht mehr besprechen wollen. So ein Schmarrn! war es mir damals entfahren. Und jetzt: Zeigen sie selbst ihre Filme nicht mehr. Reisen nicht an, weil sie nicht diskutieren wollen. Silencen sich selbst."

Eine fürchterliche Meldung aus den Agenturen: Kurz bevor Mohammad Rasoulof seinen neuen Film "Der Samen der heiligen Feige" in Cannes zeigen kann, hat das Regime von Teheran den iranischen Berlinale-Gewinner zu acht Jahren Haft und einer Auspeitschstrafe verurteilt.     

Weiteres: Lisa Füllemann zeichnet im Tagesanzeiger die Karriere von Zendaya vom Teenie-Idol zum Schauspielstar nach. Andreas Scheiner porträtiert in der NZZ den Regisseur Marc Forster, der von der Schweiz aus Hollywood erobert hat. Gesine Borcherdt erinnert in der Welt an den Experimental- und Animationsfilmpionier Oskar Fischinger.

Besprochen werden Heidi Specognas Porträtfilm "Die Vision der Claudia Andujar" (Perlentaucher), Wes Balls Science-Fiction-Film "Planet der Affen: New Kingdom" (Standard, FD, SZ), Pablo Bergers Animationsfilm "Robot Dreams" (Standard), die ARD-Serie "Player of Ibiza" (taz), David E. Kelleys auf Netflix gezeigte Verfilmung von Tom Wolfes Thriller "Ein ganzer Kerl" (FAZ), Mark Dindals Animationsfilm "Garfield" (Welt), die britische TV-Doku "Spacey Unmasked", die die Vorwürfe gegen Kevin Spacey bekräftigt (NZZ)  sowie die Serien "Baby Reindeer" (NZZ). "The Tattooist of Auschwitz" (Welt-Kritiker Elmar Krekeler spürt ein "Unbehagen, dass hier eine Urkatastrophe an die Gefühligkeit verhökert wurde"), "Feud II - Capote vs. The Swans" (Freitag) und "Maxton Hall" (FAZ),

Efeu - Die Kulturrundschau vom 08.05.2024 - Film

Die frühere Ko-Geschäftsführerin des Meta-Konzerns Sheryl Sandberg arbeitet mit dem kostenlos ins Netz gestellten Dokumentarfilm "Screams Before Silence" die Vergewaltigungen der Hamas vom 7. Oktober auf, die gerade aus dem Milieu, das sonst "Believe Women" ruft, opportun angezweifelt werden. "Unter der Regie von Anat Stalinsky macht Sandberg eine sorgfältige Beweisführung, die den letzten Zweifler verstummen lassen muss", schreibt Birgit Schmid in der NZZ. "Oder müsste. Ihr Film erzählt noch einmal das ganze Ausmaß der Barbarei der Hamas-Terroristen, die sich auf brutalste Weise sexuell an Frauen, Mädchen und Männern vergingen. Darüber hinaus wird deutlich, dass die Vergewaltigungen und Verstümmelungen durch die Hamas bewusst und vorsätzlich erfolgten. Das geht aus den Aussagen von Polizisten und Gerichtsmedizinern hervor, die klare Muster erkennen. Nur die Uno hält dies noch immer nicht für ganz wahr." Hier ist der Film auf Youtube zu sehen, wegen einer Altersbeschränkung ist er nicht einbindbar.

Die Filmkritiker blicken zurück auf den im Vorfeld wahrscheinlich aufgeladensten Jahrgang der Kurzfilmtage Oberhausen seit langem. Eher unwohl war tazler Fabian Tietke bei den Diskussionen, die wegen propalästinensischer Anfeindungen des Festivals einberufen wurden, über Sinn und Zweck des universalistischen Gedankens von Filmfestivals und den Konformitätsdruck, der von bestimmten Milieus aus auf den Kulturbetrieb ausgeübt wird: "Eine Trutzburg von vermeintlichem Konsens" erlebte er bei "konfus moderierten Panels" und bezeugt zudem einen "Popanz postkolonialer Identitätspolitik, der weder deren Realität noch die Tendenz des aktuellen Festivalbetriebs wiedergab". Filmdienst-Kritiker Josef Lederle konnte den Debatten schon eher etwas abgewinnen, unter anderem bei den Darlegungen des Filmkritikers Ariel Schweizer: "Aus der Beobachtung, dass bei den großen A-Festivals in den vergangenen Jahren häufig Dokumentarfilme als Beste Filme ausgezeichnet wurde, leitete er einen generellen Wandel von ambivalenten, formalästhetischen Sujets hin zu politisch-gesellschaftlich eindeutigeren, 'inhaltistischen' Themen ab, die kulturell leichter identifizierbar sind als ästhetisch komplexe Spielfilme."

Tilman Schumacher von critic.de hielt sich von den Debattenpodien fern und ging stattdessen lieber in die Kinos. Dort erlebte er denn auch jene Vielfalt der Stimmen, die Kritiker dem Festival in Abrede stellen wollten, etwa mit dem Segment des schwedischen Verleihs Filmform, der "ein dezidiert antiimperialistisches bis -zionistisches Programm" präsentierte. "Einen vor Publikum vorgetragenen und sichtlich um deeskalierende Ausgewogenheit bemühten Widerspruch zur offiziellen Festivalposition habe ich auch von einem der Kuratoren erlebt. Beide Protestformen waren uneingeschränkt möglich und erhielten in Teilen Beifall von den Besucher:innen. Aus meiner Sicht herrschte zu keinem Zeitpunkt eine Atmosphäre der Einschüchterung oder eine solche Situation vor, die man als Beschneidung der Redefreiheit verstehen könnte." Katharina J. Cichosch befasst sich derweil in der taz mit dem Fokus "Übersehene Filme" des Festivals.

Oliver Masucci als Regisseur Oliver Masucci, der aussieht wie Regisseur Oskar Roehler

Oskar Roehlers "Bad Director" ist eine Art schäbig-grelle Variante von "Die amerikanische Nacht", François Truffauts Liebesbrief ans Filmedrehen, erfahren wir von Daniel Kothenschulte in der FR. Der sichtlich als Selbstporträt angelegte Filmemacher Gregor Samsa darin wird aber immerhin nicht von Roehler selbst, sondern von Oliver Masucci gespielt. "Und was den schwarz gefärbten Haaren an Fett noch fehlt, das ergänzt Masuccis Spiel mit gekonnten Griffen ins Schmierentheater. Alles was Truffaut an seiner Berufsauffassung fast pathetisch idealisierte, die leise Führung durch Empathie und bewunderte Fachkenntnis, das reißt Roehlers Alter Ego mit Anlauf in den Dreck."

Weitere Artikel: Morticia Zschiesche wirft für den Filmdienst einen Blick auf die Lage der Kommunalen Kinos. Jenni Zylka spricht für die taz mit dem Regisseur Wes Ball über seinen (im Standard besprochenen) Science-Fiction-Film "Planet der Affen: New Kingdom". Und Georg Seeßlen freut sich im "Kultursommer" der Zeit auf die Locarno-Retrospektive zur Geschichte der Columbia Studios.

Besprochen werden Kelly Reichardts "Showing Up" (Tsp), Jerry Seinfelds Netflix-Kellogg's-Komödie "Unfrosted" (FD, SZ), Heidi Specognas Porträtfilm "Die Vision der Claudia Andujar" über die Fotografin und Aktivistin (FD, SZ), Ralf Büchelers Dokumentarfilm "Im Land der Wölfe" (FAZ), Pablo Bergers Animationsfilm "Robot Dreams" (Zeit Online, Standard, FR),  Cord Jeffersons auf Amazon Prime gezeigte Literaturbetriebs-Satire "American Fiction" (für die SZ online nachgereicht vom TA), die auf Apple gezeigte Serie "Dark Matter" (taz) und die Amazon-Romcom "Als du mich sahst" (Presse). Außerdem hier der Überblick mit allen Kritiken des Filmdiensts zur aktuellen Kinowoche.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 07.05.2024 - Film

Michael Ranze resümiert in der FAZ die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, die unter anderem mit einem Fokus auf die Geschichte des Sportfilms aufwarteten. Dabei ging es nicht ums gängige Dramenformat, das man heute Sportfilm nennt, sondern um Kurzfilme zwischen Berichterstattung und Experiment. "Sport hat mitunter auch etwas Lächerliches, weil sich die Übungen so endlos wiederholen und die Anstrengungen oftmals nicht von Erfolg gekrönt sind. Und doch sind Sportler die einzigen Helden, die es noch gibt." In Laila Pakalninas "lettischem Kurzfilm 'Short Film About Life' sehen neun Fußballer dabei zu, wie ein unsichtbarer Kollege an einem Elfmeterschießen, das muss man zumindest annehmen, teilnimmt. Erst die Spannung, dann die Enttäuschung. Die Gruppe bricht auseinander, das Spiel ist verloren. Das Elfmeterschießen wird so zu einem absurden Moment, weil die Männer, die zu sehen sind, nicht eingreifen können. 'Anatomie d'un mouvement', 1967 von Francois Moreuil inszeniert, untersucht die Übungen eines Reckturners. Dabei zerlegt der Film die Bewegungen und macht so die Außerordentlichkeit der Körperbeherrschung deutlich. Einmal dreht sich die Kamera beim Körperschwung ums Reck sogar mehrmals mit - ein Moment des Staunens."

Besprochen wird außerdem Radu Judes auf Mubi gezeigter Film "Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt" (FAZ, mehr dazu hier).